Erster Weltkrieg – 1916 als Wendejahr 

Spätere Darstellungen werden – als für das Kriegsjahr 1916 wichtig – hervorheben: a) den vergeblichen Versuch, die Entscheidung zur See (U-Booteinsatz) und zu Land (Offensiven bei Verdun und an der Somme) zu erzwingen  und sie werden b) die Ereignisse  an der russischen, der italienischen und neu hinzutretenden rumänischen Front nennen. Alles mündet nach anfänglichen Erfolgen in einer nie dagewesenen Materialsschlacht und einem verlustreichen Stellungskrieg.

 

Das Jahr 1916 im Spiegel der WZ

Die „Waldbröler Zeitung“- seit Mitte des vorangehenden Jahrhunderts Kreis- und Informationsblatt im Süden des Oberbergischen - bringt in diesem Jahr  zweimal wöchentlich (mittwochs und samstags) auf dem schmalen Raum von vier Seiten auftragsgemäß die amtlichen Anordnungen der Behörden und laufenden Bekanntmachungen für die Kreisbewohner. Dabei geht es u.a. um  die sich mehrenden einschneidenden Regelungen der Kriegswirtschaft, die Werbung für die beiden Kriegsanleihen Nr 4 und 5 des laufenden Jahres oder auch die zahlreichen Maßnahmen zur Bewältigung der sich verschlechternden Ernährungslage. Was der amtierende Landrat Gerdes und der Bürgermeister Niepraschk den Bürgern kraft ihres Amtes mitzuteilen haben, ist ein wichtiger Teil der Zeitung.

Regelmäßig erscheinen meist an erster Stelle, die offiziellen, den militärischen Ereignissen und Besonderheiten gewidmeten Berichte des „Großen Hauptquartiers“, wobei die Zeitung von sich aus das Wichtige gern groß und fett, die Tagesaktualität unterstreichend, heraushebt. So mögen die erhofften Fortschritte an den unübersehbaren Fronten für den Leser verständlich werden.

Die Redaktion ergänzt von sich aus geographische und gelegentlich allgemeine Beschreibungen der weit von der Heimat entfernen und phantastisch klingenden Kriegsschauplätze, liefert Karten und Zeichnungen und fügt fast jeder Ausgabe mindestens ein Foto zum Kriegsgeschehen illustrierend hinzu. Porträts der Heerführer und verantwortlichen Politiker springen in  vielen der mehr als hundert  Ausgaben des Jahres 1916 ins Auge.

Es verwundert so nicht, dass neben den Nachrichten, die in den Anzeigen und im redaktionellen Teil wie gewohnt das Leben im Kreis einfangen, das Kriegsgeschehen deutlich im Mittelpunkt steht. Das Blatt kommentiert an manchen Tagen je nach Verfügbarkeit zusätzlich einzelne Offensiven auf Gewinn und Verlust hin, äußert die Meinung Berufener über die jeweilige Kriegslage, notiert wichtiges Hintergrundsgeschehen im kaiserlichen Berlin, publiziert regelmäßig einen gereimten, halb patriotisch-humorvollen, halb propagandistischen Lagebericht in Versform („Die Lupe“), meldet Auszeichnungen der Soldaten aus dem Kreisgebiet, stellt ferne Heerführer und Helden vor, publiziert listenweise ehrende Erinnerungen an die Gefallenen aus dem Kreis (z.B. Denklingen Febr. 1916) und druckt mitten unter  den Geschäftsanzeigen immer wieder unübersehbar Todesanzeigen, die nicht zuletzt das Blutopfer der Gegend auf stille und zugleich schreiende Art dokumentieren. Im Dienst einer Leserschaft, die in der Mehrzahl auf diese einzige Quelle für das lokale und das ferne Kriegsgeschehen angewiesen ist und im ländlichen Raum wenig  andere Informationsquellen nutzen kann.

Die Redaktion deckt darüber hinaus einen großen Teil der  lokalen Agenda  in dem landwirtschaftlich orientierten Heimatkreis ab. Sie tut dies  mit einem bunten Spektrum von einschlägigen lnseraten, von groß aufgemachten Geschäftsangeboten bis hin zur Suche nach Dienstpersonal, entlaufenen Tieren, fehlenden Arbeitern oder fehlenden Helfern in der Landwirtschaft.. Sie tut es aber auch  mit dem Gesamt des nicht kriegsbedingten Materials in den redaktionellen Kurznachrichten, in mitgeteilten Ortsterminen und Einladungen zu Versammlungen sowie in den Hinweisen auf das weiterhin rege Vereinsleben. Sie macht dabei von phantasievollen Umrandungen, Fettdruck und wechselnden Schrifttypen im Rahmen damaliger Satz- und Drucktechnik fleißig Gebrauch, dient damit vielfältig  dem örtlichen Markt- und Kommunikationsgeschehen.

 

Getreu der eingeübten patriotischen Grundhaltung rügt das sich weltanschaulich neutral verstehende Blatt gelegentlich das um sich greifende egoistische Fehlverhalten in der Bevölkerung angesichts des durch Beschlagnahmen und Abgaben eingeschränkten Alltags. Die Redaktion verliert nicht aus dem Auge, was sie für ihre moralisch-erzieherische Aufgabe in dieser Zeit hält,..„Wer Brotgetreide verfüttert“, heißt es etwa am 10. Juni, später mehrfach eingefügt und  umrahmt, “versündigt sich am Vaterlande!“ Anpassung, Durchhalten und Mittun in schwieriger Zeit sind angesagt.  Von der Not reden nicht nur die vielen Verordnungen und Bekanntnachungen , auch die Anzeigen der Gerichtsvollzieher über anstehende Zwangsversteigerungen fallen ins Auge.

Zu den beibehaltenen Sparten früherer Jahre gehört neben den wichtigeren und unwichtigeren  Ortsnachrichten unter „Vermischtes“  und außer den Kurzmeldungen über sensationelle Vorkommnisse in Nah und Fern, wobei der Kreis der genannten Orte und Vorkommnisse weit gezogen ist,. weiterhin allerlei Gedichtetes und Anekdotisches, ebenso wie die vertraute Ecke des Fortsetzungsromans. In diesem Jahr 1916 sind es eine längere Weihnachtsgeschichte, ein Kriminalroman und in 4o Fortsetzungen ein Roman über die Zeit der. Befreiungskriege gegen Napoleon.

 

Die WZ 1916 als Quelle

Das Blatt  widmet sich dem Alltag auf diese Weise ebenso wie dem Kriegsgeschehen. Freilich ohne damit mehr als nur einen Teil von dem unruhigen Leben des Kreises in diesem Kriegsjahr zu erfassen. Es beschränkt dies zweifellos den Quellenwert des Blattes für den heutigen Betrachter. Wollte man ein realistischeres Bild des Lebens vor Ort in diesen Kriegsjahren gewinnen, wäre man auf zusätzliche Quellen angewiesen. Auf die verlorenen Berichte der Verwundeten im örtlichen Lazarett, die Gespräche der vor Ort lebenden Kriegsgefangenen, Tagebücher der Kriegsurlauber usw. Nur weniges davon ist verfügbar, zugänglich in Archiven oder den erhaltenen Niederschriften der nicht nur das schulische Leben registrierenden Volksschulchroniken.

Der Blick in die WZ vermittelt dennoch auf eindrucksvolle Weise, wie das Leben auch in den ernsten Zeiten eines sich hinziehenden, verhärtenden und andauernden Krieges in den Gemeinden zwischen Sieg und Agger weiterging. Als ein Leben  inmitten vieler  Hiobsbotschaften für alle, die seit zwei Jahren der Ungewissheit der täglich berichteten Frontereignisse und allen Gerüchten ausgeliefert sind.

Die Zeitung lässt am Beginn des Jahres in Text und Illustration die drängende Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges  und den lange vermissten Sieg ebenso erkennen wie am Ende des Jahres die Enttäuschung über den trotz aller Opfer ausgebliebenen Frieden. Immer noch verbunden mit dem Gedanken an den erstrebten Sieg der Monarchie und der Bündnispartner über alle Feinde.

 Unerwartet kehrt im Dezember mit einem Mal die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende zurück mit den Berichten über eine Friedensinitiative auf deutscher Seite und die Friedensnote des amerikanischen Präsidenten. Wilson, berichtet das Blatt am 22. Dezember, versuche in seiner Note an die Kriegsparteien herauszufinden, welche Bedingungen sie an das Ende des Krieges knüpfen. Er wolle selbständig den Weg für eine Beendigung des Krieges frei machen.

Ein Kriegsgeschehen bisher ungekannter Art mit steigendem Technikeinsatz und unzähligen Opfern, später die „Urkatastrophe des 20. Jhs“  genannt, verlangte nach Verdun und den  verlustreichen Offensiven an der Somme dringend nach einer Wende. Noch  sind die USA neutral, wenn auch die Versenkung der „Lusitania“ im Vorjahr das Klima bereits stark belastet hat. Als Motiv der Note  wird von den Kommentatoren (Reutermeldung) vermutet, der Präsident versuche, sich  zu orientieren, denn  das Land treibe „an den Rand des Krieges“.

Ein Jahr später treten die USA in der Tat in den Krieg ein, was das Kräfteverhältnis ein weiteres Mal verändert. Die zweite Hälfte des andauernden Blutvergießens ist eingeläutet.