Ein Waldbröler Volksbildungsverein 1875 ?

 

 

1875 findet sich im „Waldbröler Kreisblatt“ eine aus heutiger Sicht kuriose Annonce des örtlichen ev. Pfarrers W. Hollenberg. Er regt an, sich am folgenden Sonntag, dem 8. August, in der Gaststätte Römer zu treffen, um über die Notwendigkeit der Gründung eines sog.“Volksbildungsvereins“ zu sprechen, was durch die Entscheidung des  Gemeinderats, die Gründung einer landwirtschaftlichen Winterschule betreffend, „unwiderleglich“ notwendig geworden sei.

Hollenberg ist seit 1873 drei  Wahlperioden lang Mitglied des preußischen Landtags (bis 1882) und im darauffolgenden Jahr /1874) hatte er in Berlin beim Minister für Landwirtschaftliche Angelegenheiten erfolglos die Gründung einer Landwirtschaftlichen Schule beantragt[1]. Die Ackerbauschule in Denklingen hatte nur von 1852 bis 1874 bestanden (Post vom 31.1. 1874 wegen Auflösung zum 31 3. 1874)[2] Eine Fortsetzung der Anstrengungen war also angesagt. Hollenberg zögerte nicht , seine Berliner Kontakte zu nutzen, aber sie waren erfolglos. Die früh gefeierte Ackerbauschule, die negativ in die Schlagzeilen geraten war, war ein Beispiel mehr für den überall ergebnislosen Versuch, in Preußen Ackerbauischulen einzurichten und am Leben zu erhalten. Nun also ein Volksbildungsverein?  Was sollte er bringen?

Eine erste Winterschule für das Landvolk wird es in Waldbröl erst ab 1909 geben und ein neues Winterschulgebäude – nach wie vor in der heutigen Gerdesstraße gelegen - gab es erst 1910. Die Initiative des rührigen Pfarrers ist also allem Anschein nach zum Scheitern verurteilt, denn das Blatt schweigt. Die Lage im Kreis hat sich aber nicht geändert , und  der Wille ist da, an dieser Lage etwas zu ändern. Die Fortbildung  der heranwachsenden Jugend nach Abschluss der Grundschule ist von Seiten des Staates als auch von Seiten der Kirche gleich wichtig. Die Landwirtschaft kann nur gedeihen und die Auswanderung und Binnenwanderung  nur beeinflusst werden, wenn die Menschen in den kargen Dörfern eine Besserung erwarten können. Das betrifft die landwirtschaftlichen Techniken ebenso wie die gesamte Bildung. Seit Thaers Zeiten zu Beginn des Jahrhunderts ist die Notwendigkeit hier und da erkannt. Aber die Menschen verweigern sich, solange dies nichts an ihrer Not ändert. .

1879 schreibt der die Chronik führende Lehrer in der Holper Chronik, es handelt sich um die  katholische Volksschule [3] über den ergebnislosen Versuch  der Einrichtung von Fortbildungskursen, warum aus seiner Sicht der Versuch nicht gelingt. Er schreibt:

 

Auf Veranlassung des Herrn Bürgermeister Thoenes wurde wiederholt versucht, in Holpe  eine Fortbildungsschule ins Leben  zu rufen. Das Königliche Landrathsamt zu Waldbröl hatte sich schon vorher in einer darauf bezüglichen Verfügung folgendermaßen über diesen Gegenstand geäußert: Es ist im Interesse der Volksbildung überhaupt und der besseren Pflege der landwirtschaftlichen Gewerbe wie auch der sittlichen Ertüchtigung der jüngeren Generation der ländlichen Bevölkerung und der Bekämpfung der sie bedrohenden Zuchtlosigkeit in hohem Grade wünschenswert, daß ländliche Fortbildungsschulen errichtet werden. Ungeachtet indessen seitens des Herrn Bürgermeisters sowohl wie der Lehrer alles mögliche geschehen ist, konnte doch eine genügende Schülerzahl nicht zusammengebracht werden. Ich sehe den Grund in der Örtlichkeit und der Beschäftigung der jungen Leute. Holpe liefert uns gegenwärtig vielleicht einen Schüler, die übrigen müßten aus den zur Gemeinde gehörigen Ortschaften genommen werden, von denen jedoch die meisten in weiter Entfernung vom Dorfe liegen .

Sämtliche jungen Leute sind entweder Ackerer, Tagelöhner oder Bergleute, Junge Handwerker findet man selten. Die ungleiche Beschäftigung hat die ungleiche freie Zeit im Gefolge und  somit kann an einem Wochentage nichts erzielt werden. Bergleute sind sogar am Sonntage nicht immer frei. Da diese jungen  Leute während der ganzen Woche durch ihre Beschäftigung in Anspruch genommen sind, wollen sie den Sonntag frei haben. Soll was für die entlassene männliche Jugend geschehen, muß das Gesetz die Sache regeln. Solange das nicht geschieht, figurieren die als bestehend angegebenen Fortbildungsschulen nur in den Berichten auf dem Papier, ohne was Erkleckliches zu leisten, was den Kosten entspräche, welche durch dieselben veranlaßt werden[4]. Ähnlich dürfte die Lage in den anderen Außenorten der Kreisstadt gewesen sein. Denn erst 10 Jahre  später (1889)  finden wir den Vermerk: Mit dem Beginn des Sommersemesters des. J[ahres] wurde hierselbst eine ländliche Fortbildungsschule eingerichtet [5] Über den Erfolg erfahren wir nichts, aber die Mühlen mahlen  weiter, so dass es eine Generation später zur Gründung der Winterschule kommt.-

 

Was sind übrigens Volksbildungsvereine, um den Begriff aufzugreifen, den Hollenberg verwendet, der aber zu seiner Zeit noch nicht festgelegt ist?.  Heute gibt es von den so benannten Vereinen noch den einen oder andern mit modernem Volkshochschulcharakter. Der Begriff stammt , wie man an der Einladung des Pfarrers sieht, aus einer Zeit, welche die Notwendigkeit der Volksbildung im städtischen und ländlichen Raum staatlicherseits und kirchlicherseits zum Ausdruck bringen wollte, aber für das vielgestaltige Problem noch keine Lösungen gefunden hat. Erst das folgende Jahrhundert sollte einige davon bringen.[6] Schon 1871 gründete man in Straßburg eine „Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung als früheste der drei Wurzeln der Volkshochschule, In Friedberg /Hessen weist die Homepage einer VHS auf die Anfänge hin, wenn sie schreibt „ Im Gründungsjahr 1872 wollte der Verein das Volk bilden, heute ist er der Kultur auf der Spur“. 

 

[1] Joh. Fach, Wilhelm Hollenberg im Waldbröler Pfarramt S. 38 in: Die Hollenbergschule Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Schule 1961 , Artikel Fach mit Wertung der Aktivitäten des Pfarrers 

[2] Kurt Hamburger, Eine frühe oberbergische Ackerbauschule in „Beiträge zur oberbergischen Geschichte“  Band 11

[3] Etwa 20 Jahre lang findet der Unterricht für beide Konfessionen in der kath. Schule statt. Erst 1912 hat ein Antrag eines ev. Lehrers, ihm eine Teilnahme an der Erteilung von Unterricht  zu genehmigen den gewünschten Erfolg

[4] Chronik der Kathol. Schule Holpe, Standort Gemeinde Morsbach, Archiv S. 20 f.

[5] Chronik der Kathol. Schule Holpe, Standort Gemeinde Morsbach, Archiv S. 21.

[6] Eine ausführliche Geschchte der luxemburgischen VBV ab 1910 findet sich im Metz unter http://www.albad.lu/downloads/vbv.30jahre.pdf