Waldbröler Chroniken im Ersten Weltkrieg

Als Quelle zum Weltkriegsgeschehen 14-18 aus hiesiger Sicht sind in kommunalen Archiven neben Presseerzeugnissen in erster Linie die Schulchroniken und die Niederschriften der damals tätigen Volksschullehrer verfügbar. Für die Gemeinde liegen sie dankenswerterweise neben den Originalen auch in transkribierter Form vor.

Was der Leser über das im Presse- und Buchgeschehen Angebotene hinaus in den Niederschriften zu finden hofft, sind zusätzliche Einschätzungen und persönliche Beobachtungen, die das Einbezogensein in das allgemeine Geschehen, die Veränderungen des täglichen Lebens im Ort und in den Familien, aber auch die Erfahrungen der Eingezogenen oder Freiwilligen an der Front betreffen. In der Hoffnung, es gebe darunter Chronisten, die in den Niederschriften ein Medium sahen, wichtige Vorgänge im Umfeld und eigene Einschätzungen festzuhalten.

Was geben nun diese Quellen her und befriedigen sie die Erwartung? Die überwiegende Zahl der Chroniken (zu ihrer Zahl vgl. die Übersicht in Materialien zur Oberberg. Geschichte, Heft 1, die allerdings die nach 1945 verloren gegangenen Chroniken einzelner Schulen nicht erfasst) beschränkt sich darauf, Daten und Veränderungen aus dem Schulgeschehen zu registrieren, wobei die Verfasser selten über die Schule hinausblicken. So finden wir dort etwa die Statistiken der Abgänger oder Nachrichten über Unterrichtsausfälle, Unterrichtsbesuche, durchgeführte Sammlungen oder, an Vorgaben anknüpfend, Vermerke über herausragende Wetterereignisse. Eine Beurteilung der Art und Qualität dieser Aufzeichnungen kann nur auf dem Hintergrund der in der 2. Hälfte des 19.Jh. in Preußen entstandenen Vorgaben und der Verhältnisse vor Ort in den fraglichen Jahren geschehen. Manche Niederschriften sind im Rückblick anhand von Notizen oder Gedächtnisresten verfasst. Dies, obwohl – so notiert es ein Chronist – die Behörden eines Tages auf die Verpflichtung zu zeitnaher Aufzeichnung hinwiesen. Die rückwirkenden Zusammenfassungen mögen deshalb überwiegen, weil Zeit zu zeitnaher Abfassung fehlte, Chronisten der anfallenden Überprüfung auswichen, sie als Vertretungslehrer in den Kriegsmonaten häufig wechselten, sie das Amt nur vorübergehend versahen, sie sich an der Praxis des Vorgängers orientierten oder die Verpflichtung aus einer besonderen Einstellung heraus absichtlich oberflächlich wahrnahmen. Hier kann nur eine genaue Betrachtung der Gegebenheiten vor Ort einige der Vermutungen ersetzen.

Ein dichteres Bild der Belastungen in den Kriegsjahren oder gar der Zeitereignisse entsteht auf diese Weise nur in wenigen Chroniken. Das mag freilich auch daran liegen, dass das Leben weitab von der Front zunächst in den gewohnten Bahnen weiterging und das Nachrichtenwesen in seinen Möglichkeiten begrenzt war. Das Heft 1914-1918, das H. Simon 1983 als Heft 9 für die Raiffeisenbank im Rahmen der heimatkundlichen Serie herausgab, enthält einiges an Bildmaterial über das Aussehen des Ortes zur damaligen Zeit und vermerkt in Auswertung von Zeitungsnachrichten und mündlichen Gesprächen, wie das Leben in dem kleinen oberbergischen Kreisort in jenen Tagen in mehr oder weniger gewohnten Bahnen verlief. Zweifellos war es so, dass das Kriegsgeschehen beunruhigte und Tagesgespräch in den Häusern war. Aber nur dort, wo die Chronisten selbst das Geschehen an der Front erlebt hatten, sie Verwundete in den nahen Lazaretten begegneten oder Familienmitglieder an der Front standen, drang etwas von der Härte und steigenden Außergewöhnlichkeit der Geschehnisse in ihre Niederschrift. Auffällt dem heutigen Leser, dass Mentalitäten der vorangegangenen Jahrzehnte, die von nationalem Pathos, von Erbfeindschaftsbegriffen, von zurückliegenden militärischen Erfolgen des 19.Jhs und der Rede über die europäischen Rivalitäten geprägt waren, sich lange erhielten. Nahbeobachtung betraf die wachsende Zahl der Eingezogenen aus dem eigenen Lebenskreis, ergänzt um die Nachrichten über Verwundete, Vermisste und Gefallene und auch wegen ihrer Tapferkeit Ausgezeichnete. Manche Chronik möchte ihre Namen in langen zusätzlichen Listen für die Nachwelt erhalten. Als vermerkenswert hinzukam, was sich auf Anordnung der Behörden im gewohnten Umfeld, etwa bei der Versorgung der Bevölkerung nach und nach an Einschränkungen ergab. Nach dem Ausbleiben des erhofften baldigen Sieges und Kriegsendes, dem Erleben von Verschlechterungen der wirtschaftlichen Lage und der gehäuften Inanspruchnahme durch Aufgaben, die den Lehrern im Zug der Kriegswirtschaft vom Staat zugewiesen wurden (Einsatz beim Eintreiben von Geldern, Naturalien und Wertgegenständen), änderten sich viele Einstellungen.

Einige wenige der erhaltenen Chroniken hinterließen Berichte, Einschätzungen und Beobachtungen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammenhängend ein Bild der Verhältnisse vor Ort und ihrer Veränderung zeichnen und deren Untersuchung aus ortsgeschichtlichem und speziell kriegsgeschichtlichem Interesse sich anbietet. Längere Auszüge aus einer der wenigen anders angelegten Schulchroniken von einem älteren Lehrer, der über seine Söhne etwas von der verheerenden Wirklichkeit an den fernen Fronten erfährt und es kommentiert, zitiert das erwähnte Heft beispielhaft. Eine Erweiterung aus anderen Niederschriften könnte das Bild nennenswert ergänzen.