Ein Denkmal zu viel?

Waldbröler Straßennamen der Befreiungskriege und das Gedenken an Paul von Bettenhagen

 

Alles blieb scheinbar beim Alten. Scheinbar „immer schon“ gab es verstreut oder ortsnah verbunden Straßennamen mit Anklängen an die Zeit der Befreiungskriege. Dazu gehörten eine Schenkendorfstraße, Hardenberg- und Freiherr- vom- Stein -Straße im Westen der Stadt, im Norden des Ortes eine Körnerstraße und weitab im Osten eine Ernst-Moritz-Arndtstraße. Dann wieder eng beieinander im ehemaligen Oberdorf eine Scharnhorst- und Gneisenaustraße, eine dem Turnvater Ludwig Jahn gewidmete Straße und nahebei eine alles bedeutsam verbindende „Freiheit“straße, die indes nach anderer Lesart den Blick auf die ehemalige Ortslage „Am Fryschidt“ aus der Karte von 1575 lenkt. Wie auch immer - sie alle finden sich in beachtlicher Zahl verstreut über das Stadtgebiet, entstanden nach und nach, seit es 1892 überhaupt die ersten Straßennamen im Ort gab.

Ein ganzes Kapitel aus dem Geschichtsbuch längst vergangener Tage öffnet sich mit ihnen, und es begleitet sie ergänzend eine seit hundert Jahren durch den Ort führende Kaiserstraße, die an die Durchfahrt des letzten Kaisers durch das Oberbergische vor hundert Jahren, im Oktober 1913 erinnert. Genannt sind damit Freiheitsdichter, Heeresreformer und Publizisten des preußischen Widerstands, die bis heute den preußischen Wiederaufstieg nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 bei Jena und Auerstädt festhalten. Sie erhalten nur indirekt auch die Erinnerung an die vorangehende Zeit des Großherzogtums Berg unter Napoleon, die nach dem Wiener Kongreß und nach der enggültigen Niederlage des Korsen in eine lange preußische Anwesenheit im Rheinland mündete.

In der Mitte des Ortes an der Kirche befindet sich passend dazu als weiterer Blickpunkt die Büste des Königs Friedrich Wilhelm III. Auch sie gehört dazu. Ein stilles und wie vergessenes Werk. Es beschwört nicht nur die Erinnerung herauf an Preußens schlimmste Tage, an die Flucht des Hofes aus Berlin nach Ostpreußen, an den Beinahe- Untergang Preußens und die glorreiche Wiederauferstehung nach der Völkerschlacht bei Leipzig und nach Waterloo. Es erinnert an die Stiftung des Eisernen Kreuzes am Geburtstag der verehrten und 1810 bereits verstorbenen Königin Luise, an die Kriegserklärung vom 16. und den „Aufruf an mein Volk“ am 17.3.1813, gerade einen Monat nach der Exekution an der ev. Kirche, um die es hier geht.

Eingeweiht wurde das Waldbröler Denkmal 1863, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem bedeutsamen Aufruf zum erstmals gesamtvölkischen Widerstand. Die Einweihung war in jenen Tagen verbunden mit großer Feierlichkeit am ursprünglichen Standort vor dem Eingang der Kirche, die nicht zuletzt die finanzielle Unterstützung des neuen Kirchenbaus in den 40er Jahren dankbar hervorheben sollte. Als es darum vor hundert Jahren ein Gedenkjahr im Rückblick auf 1813 zu feiern galt, waren es nach den sog. Einigungskriegen und inmitten der kaiserlichen Zeit diese bedeutenden hohenzollernschen Anlässe, die in der Presse und in der Öffentlichkeit das Gedenken einzig und glanzvoll bestimmten. Es orientierte sich emotional am Glanz des 1871 entstandenen Kaiserreichs und dessen preußischer Vorgeschichte im Rheinland. Alles ein Jahr vor dem Ausbruch des blutigen ersten Weltkriegs, der die Verhältnisse in Europa für das eigenen Jahrhundert nachhaltig erschüttern sollte und in weiteres bekanntes Unglück führte.

 

Auch für einige Straßen und ihre Benennung ist dies nur die Vorgeschichte. Dass im gegenwärtigen Jahr 2013 in der unmittelbaren Nähe der Königsbüste dazu eine Tafel für eines der jugendlichen Opfer der napoleonischen Präsenz im Rechtrheinischen angebracht wurde, brauchte lange Zeit, rundet aber durch den Zufall des Erschießungsortes die erwähnte Straßennamengeschichte treffend ab. Es ergänzt die in den Straßennamen sichtbare Geschichte und macht sie greifbarer, mag sich an den Straßennamen auch auf den ersten Blick nichts geändert haben. Stadtgeschichte als Regional- oder Nationalgeschichte erzählt sich in diesem Kapitel hinfort allerdings leichter.

Ein echter Freiheitskämpfer im heutigen Stil hätte natürlich gut in das gegebene Panorama gepasst. Aber ein solcher war der Erschossene nicht. Andererseits: Seine und die anderen Erschießungen, vollzogen an den „Knüppelrussen“, standen an Gewalt auch aus heutiger Sicht nicht hinter den Vergehen der Jugendlichen zurück. Der damalige Generalprokurator, der sich für jene Rechtsstaatlichkeit im Großherzogtum einsetzte, welche die Franzosen sich rühmen durften als Idee mitgebracht zu haben, empfand das gewaltsame und dem Machterhalt dienende Vorgehen der Militärkommissionen geradezu als Justizmord. Darum passt die Gedenktafel, die den Aufständischen im ganzen Bergischen und den Vorgängen am Ende der napoleonischen Zeit gilt, durchaus in das vorhandene Geschichtsbild.

Dass es um die Zuerkennung eines ihm gewidmeten Straßennamens 25 Jahr zuvor bereits einen jahrelangen Streit gab, als ein Schriftsteller nicht nur in seinem Roman den Fall aufrollte, sondern auch einen entsprechenden Antrag an die Stadt stellte, ist bekannt. Dass ein so lange zurückliegendes Ereignis die kommunale Welt im Vorfeld des damals 175 jährigen Erinnerns emotional zu berühren vermochte, war zweifellos nichts für die Gegenwart Alltägliches. Gab es doch die lokale Tradition aus mancherlei alten Quellen, die den Fall als abgeschlossen und die neuerliche Diskussion als überflüssig erscheinen lassen mochten. Gleich ob es nach 68 Autoren gegeben hatte, die im Sinne des ehemaligen Bundespräsidenten Heinemann einen anderen Umgang mit der Vergangenheit forderten oder diese als Realität in den Roman zu holen bemüht waren. Dem Geschick des ungestümen Leinewebers und jungen Knüppelrussen, der nicht in den Krieg ziehen wollte ebenso wie allen Unzufriedenen am Ende des napoleonischen Musterstaats Berg kam darin eine neue literarische wie auch historische Sicht zu. Sie forderte nicht zuletzt eine Erschließung bislang unzugänglicher oder übersehener Quellen, um den Vorgang ganz und nicht nur ein Teilstück in den Blick zu bekommen. Eine solche Bemühung hatte schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, mit den Aufsätzen etwa von Karl Schröder in „Romerike Berge“ begonnen, und sie schien zu einer Neubewertung des Geschehenen zu führen.

Als im März dieses Jahres eine Einweihung der Gedenktafel anstand, erschienen bei dem Einweihungsakt, für den sich finanziell mehrere Vereine und nach neuerlicher Debatte auch der Kulturausschuss mit einer positiven Entscheidung einsetzten, neben dem Bürgermeister, neben einer dem Lokalen verpflichteten Gesangsgruppe und vielen Bürgern, außer dem literarischen Initiator und Auslöser der Debatte vor 25 Jahren, dem Düsseldorfer Schriftsteller also, die Schüler einer Waldbröler Schule. Sie hatten eines Tages, in einer Kunstausstellung im Rathaus die Frage nach dem fehlenden Straßennamen für den jungen „Widerstandskämpfer“ laut gestellt. Ihnen genügte eine kritische Wahrnehmung der Geschehnisse unserer Tage, um die Langsamkeit, wie es hieß, demokratischer Prozesse und den Mut zur Zivilcourage beim Blick auf den getöteten Aufrührer in Zeiten eines spektakulären Umbruchs vor 200 Jahren im Spiel zu sehen. Aus historischer Sicht ergab sich damit zugleich allerdings ein Erweiterungs- und Erklärungsbedarf. (vgl. demnächst unter www.bgv-oberberg.de/Aktuelles)