Nahwege in alter Zeit

 

Dass Landwege auch in unserer Region einst anders verliefen als das Straßennetz es heute anbietet, ist jedem geläufig und verständlich. Wer zu Fuß war, rechnete anders mit Zeit und Müdigkeit. Es waren dies ab einer nicht immer erkennbaren Zeit u.a. Kirchwege, Friedhofswege, Mühlenwege und Schulwege, aber auch Wege ins nächste Dorf zum Dorfladen. Laufwege zur Verwandtschaft auch, die vielleicht im Nachbardorf wohnte. Ferner Wege, die dem Handel, den Fahrenden, den Trödlern, den Pilgern und den Mächtigen in Kriegszeiten und Friedenszeiten dienten. Sie waren überwiegend unbefestigt und der Witterung anders als heute ausgesetzt. Territorien schotteten sich ab. Die Verkehrsräume waren andere und die Zirkulation in ihnen. Hinter allen tauchen Jahrhunderte vergangenen Lebens auf. Dass nicht wenige der Verbindungen in dem heutigen Wegenetz und sei es in Teilstücken aufgegangen sind und übernommen wurden, verdient hervorgehoben zu werden. Schon die ältesten Karten im großen Maßstab aus der Zeit des Urkatasters um 1830 enthalten den Grundstock des heutigen Netzes.

Leider hat man im Allgemeinen versäumt, dieses andere Wegenetz in seiner Besonderheit und seiner Nutzungsfrequenz  zu beschreiben  oder erst recht, es zu kartieren: Das Wissen verflüchtigt sich, die Spuren zusätzlicher Verbindungen in Wald  und Feld vergehen  oder werden aus Unkenntnis zerstört. Nur hin und wieder erfahren sie eine literarische Wiederbelebung und Rekonstruktion in Erzählungen aus alten Tagen wie in den realistischen Romanen von Klas Everwyn, die in napoleonischer Zeit am Anfang des 19. Jh an Bröl und Sieg spielen[1]. Heute in den Ortschaften zu fragen, wer weiß noch wo man früher herging, ergäbe nur mühsam Reste einer verlorenen Karte.

 

a) Mühlenwege. Wo die Mühlen lagen, weiß man. Weniger aber, wer aufgrund des Charakters der Mühle als Getreidemühle, Ölmühle, Knochenmühle, als adlige, Privat- oder Bannmühle  dorthin wollte oder musste. Der beladen war er auf dem Hinweg, ebenso wie auf dem Rückweg. Etwas weniger auf dem Rückweg, da er in der Getreidemühle mit einem Teil der Naturalien (6%) bezahlte. Er „molterte“ und war froh , heil und schnell nach Hause zu gelangen.

 Beispiele. Den alten Mühlenweg von  Bohlenhagen zur nahen Junkerbrenzingermühle, am trockenen Rand des Bohlenhagener Baches und am Heidbergfelsen entlang, benennt noch heute die offizielle Straßen- und Wegekarte. Man liest es, ohne sich weiter Gedanken über die alten Zustände zu machen, zumal auch die Mühle, zuletzt Leimfabrik, seit längerem verschwunden ist. Die Leute vor Ort sind sich der Bedeutung des Weges in alter Zeit kaum noch bewusst, scheint er doch zu verkommen. Der Weg durch das Tal von Ruh und entlang der heutigen Kläranlage dürfte ein Pfad zur gleichen Mühle gewesen sein. Die Nachbarmühlen, die Beuinghausener, Rossenbacher und Ziegenhardter Mühle sind seit dem vorigen Jahrhundert  und oft noch früher wie die meisten der ca.15 Mühlen im Gemeindegebiet in gleicher Weise verschwunden. Alle lagen in den Einzugsgebieten von Sieg, Bröl oder Wiehl  und entwässerten  dorthin , z.T. über kleinere Bäche.

Wie es in den Getreidemühlen zuging, schildert in dem Buch von H. Nicke, Bergische Mühlen[2] der lange letzte Müller im Gemeindegebiet, der Besitzer der Bruchhausener Mühle W. Gran  aus seiner reichen Erfahrung (vgl. Seite 109 ff.). Hier erfahren wir auch, dass die Kleinbauern oft ihre Säcke mühsam zur Mühle schleppten oder auf der Schubkarre transportierten  und dann dort in einem Stübchen warteten, bis das Mahlgut fertig war. Über die Mühlenwege gibt es aber auch in diesem verdienstvollen Überblick keine Information.

 

 

b) Kirchwege, Kirchhofswege, Friedhofswege

In Ziegenhardt und in Bladersbach gibt es noch die Bezeichnung Kirchweg bzw. Kirchhofsweg im heutigen Straßenverzeichnis, ähnlich in Waldbröl einen sog. Alten Friedhofsweg. Alles spärliche Reste früherer Gewohnheiten im Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen. Veränderungen und Neuerschließungen eingeschlossen. Verlagerten sich doch Friedhofswege schon ab dem Zeitpunkt, wo aus hygienischen Gründen der Friedhof aus der Nähe der Kirche verlegt werden musste.

 

c) Schulwege

 Wann die Schulen, gemeint die Waldbröler Volksschulen im Ort selbst sowie im 19.Jh und zu Beginn des 20. Jh. in den Außenorten,  entstanden und wie lange sie bestanden, ist bekannt. Einige existierten nur kurze Zeit und wurden durch andere abgelöst. Nur eines der alten Gebäude in den Außenorten ist heute (2014) noch im Besitz der Stadt und nicht privat vermietet. Der Einzugsbereich der Volksschulen änderte sich hin und wieder, war aber für die Mehrzahl über die Jahrzehnte rund um die Wende vom 19. zum 20. Jh.  ortsfest. Dass die Kleinen auf den Höfen oft lange Wege bei Wind und Wetter zurückzulegen hatten, erwähnt die eine und andere Schulchronik. Heute würde man sie für unzumutbar halten und die Wege erklären mit, warum der Schulbesuch unregelmäßig war und die Eltern ihre Kinder lieber zu Hause ließen.

 

d) Wege der Hausierer und Händler

Wer mühsam seine Ware durch die Dörfer schleppen musste, um sie an der Haustür zu verkaufen, oder wer seine Reparaturdienste als Kesselflicker oder Hausschuster anbot, wie es früher in den Außenorten geschah benutzte den kürzesten und bei Wind und Wetter gangbarsten Weg. Das trifft wohl auch für die Händler zu, die ihr Vieh zu den Märkten trieben oder ihre Ware dort anboten. Insofern müsste gerade der Marktort Waldbröl aus frühester Zeit einst ein  Wegenetz besessen haben, das diesen Zwecken entsprach und sich in seiner Ausrichtung nur teilweise im Straßennetz von heute wiederfindet. Dass sich die Trassen im Südbergischen nicht wie in römischer Zeit in den Ebenen des Rheinlands oder in Frankreich von A nach B gerade durchs Land zogen, ist durch das Relief des Landes bedingt und erklärt die zahlreichen Umwege. Die Wahl zwischen dem schnellsten, bequemsten und dem kürzesten Weg, die heute der Navigator dem Reisenden abverlangt, verlangte  auch in alter Zeit eine passende Entscheidung.

 

e) Wanderwege

Keine Rolle dürfte lange die Entscheidung für den schönsten Weg gespielt haben. Er fehlt auch heute noch als mögliche Wahl in den Angeboten der meisten Navis. Die Suche also nach einem Weg, der die Eigenarten und Schönheiten der Regionen erschließt. Erst die Tourismusentwicklung und der dazugehörige Freizeitsport ab dem Ende des 19.Jhs haben hier eine neues Bedürfnis entstehen lassen. Es führte zu Vorschlägen, wie sie im Oberbergischen etwa in den frühen Wanderführern des Oberbergischen Gebirgsvereins am Anfang des 20.Jhs erscheinen.[3] Bergische Streifwege und die Entwicklung eines Panoramasteigs sind heutige Endpunkte der dazugehörigen Entwicklung.

 

[1] Vgl. u.a. Klas Ewert Everwyn, Für fremde Kaiser und kein Vaterland Würzburg 1985 , Deutscher Jugendliteraturpreis 1986

[2] Nicke, H. Bergische Mühlen, Wiehl 1995

[3] vgl Oberbergischer Gebirgsverein, Führer durch das oberbergische Land mit 30 Ansichten  aus dem Oberbergischen. Engelskirchen 1904 , 1906 und 1911