Was blieb. Porträt einer Stadt

 

Die erste Erwähnung des Dorfes bzw. seiner  Kirche, gelegen am östlichen Ende des Bröltals in der wald- und wasserreichen Mulde des Waldbrölbaches, erfolgte in einer Urkunde von 1131 zugunsten des 50 km westlich liegenden Bonner Stiftes Cassius und Florentius. Diesem wurden vom Papst Innocenz  II. in der fraglichen Urkunde, die zahlreiche weitere Orte  rechts und links des Rheines z.T. erstmals verzeichnet, Zehnteinkünfte bestätigt.[1] Es muss um diese Zeit, von der heute noch der Turm der ev. Kirche und ein Taufbecken zeugen [2],  der Ort mit Namen „waltprugele“ – eine Anspielung auf die sumpfige Lage – bereits eine „einträgliche“ Siedlung gewesen sein. Oberhalb des Ortes, in der Nähe der mittelalterlichen „Eisenstraße“ liegt die durch einen Stein markierte Quelle des Waldbrölbaches, der nahe Hennef bei Müschmühle  in die Sieg mündet, auf seinem Lauf dem Nutscheidrücken folgt und zwischendurch einen weiteren Fluss, die Homburger Bröl bei Felderhoferbrück aufnimmt Dieser Wasserlauf, der ebenfalls nahe Waldbröl seinen unscheinbaren Ursprung hat, beschreibt einen Bogen nach Norden durch das Homburger Ländchen und vereint sich später mit dem Wasserlauf des Waldbrölbaches, um gemeinsam der Sieg entgegen zu eilen.

Aus dem Mittelalter sind wenig Zeugnisse verblieben. Am wichtigsten wegen ihrer Bedeutung als Verbindungsweg ist eine nahe am Ort vorbeiführende Fernstraße, die sog. Nutscheidstraße, die aus der Rheinebene über den bewaldeten Höhenrücken des Nutscheids Richtung Siegen führt.

Sie wurde  nachweislich noch bis zum Bau der lange entbehrten Bröltalstraße im letzten Drittel des  19.Jh. benutzt. Ein leicht zu übersehener Straßenname im Südteil der Stadt erinnert an sie.[3] Ganz in der Nähe entsteht indes zur Zeit der Naturpark „Erlebnis Nutscheid“ (Panarborapark ) mit einem Waldwipfelpfad, Lehrangeboten und Übernachtungsgelegenheiten für jugendliche Besucher, getragen u.a. vom Deutschen Jugendherbergswerk.

Aus den  Jahrhunderten der frühen Neuzeit und der abgelegenen Dorfwelt früherer Jahrhunderte blieb baulich wenig. Die saynischen Lehnsgüter Beuinghausen und das einst wichtige Isengarten samt seiner  „Burg“ , Sitz einiger saynischer Amtsverwalter,  sind nur noch als Lokalitäten und in Urkunden oder auf alten Karten erkennbar. Eine Senke etwa zeigt die Lage der ehemaligen Anlage. Zu erinnern ist an den religionsrelevanten Wechsel der territorialen Zugehörigkeit im Zusammenhang mit dem Verkauf der saynischen Kirchspiele Waldbröl und Morsbach an die katholischen Herzöge von Berg  durch den homburgischen Teilerben Heinrich IV. (1604 Siegburger Vergleich) und die daraus folgende,  Jahrhunderte dauernde Zugehörigkeit zum bergischen Amt Windeck. An den Wechsel erinnern an einigen Gemeindegrenzen  bis heute die  Platzierungen der 1605 gesetzten, teilweise in Form von Repliken noch vorhandenen Grenzsteine zwischen Sayn und Berg. Dass der aus dem bergischen Amt Windeck nach dem Wiener Kongress entstandene Landkreis Waldbröl lange der ärmste Landkreis in Preußen gewesen sein soll, weist auf die ungünstige geographische und wirtschaftliche Ausgangslage hin, aber auch auf die damit verbundenen schlechten Lebensbedingungen breiter Bevölkerungskreise. An der Kirche erinnert ein Grabstein für den Obristen Quad an Personen und Ereignisse der Vorreformationszeit im  15.Jh[4] , das Wiedenhofgelände beschwört  die Kirchengeschichte, das sog. Streitkreuz dokumentiert an mehreren Orten die Raufereien zwischen den Konfessionen zu Beginn des 18. Jh. ebenso wie das Gebäude der katholischen Kirche in seiner Ausrichtung und Platzierung.  Dass Ereignisse der  Kirchengeschichte in Publikationen der verschiedenen Art, auch in Romanform nachzulesen sind, sei am Rande vermerkt. 1769 brannten große Teile des Dorfes bei einem Feuerereignis ab.

Erst das beginnende 19.Jh rückte den Ort für einen Moment wieder in den Blickpunkt der Geschichte, als der bergische Aufstand gegen die Nachrekrutierungen der Franzosen, auch Knüppelrussenaufstand genannt, zu der Hinrichtung eines der führenden Rebellen vor Ort führte. An ihn und die dazugehörigen Ereignisse ist seit 2013 mit einer Plakette am Hotel Römer ganz  in der Nähe des Erschießungsortes gedacht. Ebenfalls ganz in der Nähe  befindet sich die Büste des preußischen Königs F.W. III , der Tiefen und Höhen damaliger preußischer Herrschaft repräsentiert. Er spendete u.a für die Erneuerung der Kirche, weshalb 50 Jahre nach dem legendären „Aufruf an  mein Volk“ , dem Auftakt der Befreiungskriege, ihm an der Kirche das dortige  Denkmal  gewidmet wurde. An der Kirche vorbei gelangt man zum Geburtshaus des Volksliedsammlers Anton W. von Zuccalmaglio (1803-1869).  In die hier liegende Altstadt  translozierte die Stadt 2003 das Denkmal aus dem Park in der Nähe des Rathauses und erweiterte es.[5] Ein unlängst errichtetes Glockenspiel neben dem Geburtshaus erinnert mit seinen Melodien an den Sammler ebenso wie an die Bedeutung der Volksmusik bis in die Gegenwart. Ein früheres 1903 zum hundertjährigen Geburtstag entstandenes  Denkmal musste Anfang der 60 er Jahre dem Verkehr weichen und ist u.a. nur noch mit seinen kupfernen Gedenkplatten im Rathausaufgang erhalten. Das viel gesungene und zitierte Volkslied „Kein schöner Land“ wurde zu einer Art Stadthymne.

Dass Waldbröl zu Napoleons Zeiten Munizipalität und Sitz des Cantons wurde, woraus in den anschließenden preußischen Zeiten eine Bürgermeisterei und der Verwaltungsmittelpunkt eines Landkreises entstand, der bis 1932 existierte, schlägt sich außer in Straßennamen zu den Befreiungskriegen und den Straßenzügen mit Namen einiger bedeutender Landräte (Danzier, Maurer, Gerdes, Eichhorn) sichtbar nieder. Noch deutlicher wird es durch den Erhalt der Eingangspforte zum letzten Kreishaus, die nach dem Abriss des Gebäudes in  den 70er Jahren in die Mauer gegenüber der ursprünglichen Wohnung des ehemaligen Landrates Gerdes (heute Bürgerhaus) als Erinnerung an eine lange Geschichte eingelassen wurde. 

Erst ab der Mitte des 19. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg häufen sich spurenweise erhaltene ortsprägende Örtlichkeiten. Dazu gehören die Lokalitäten des bis heute bestehenden,  für den Ort nach wie vor zentralen Vieh-und Krammarkts (ab 1851)[6], die Lederindustrie mit ihren (inzwischen verschwundenen ) Gerbereien[7] , der Neubau der Hollenbergschule von 1905 im bergischen Baustil (heute Rathaus der Stadt) und weitere öffentliche Bauten (Altes Krankenhaus, die Heil- und Pflegeanstalt[8], das Haus des Anstaltsleiters , zuletzt Kreisgesundheitsamt am Eingang zum Königsbornpark.) Dort auch auffällig das ehemalige sog. Ärztehaus mit seinem bergischen Stil, der auch anderswo im Stadtgebiet sinnfällige architektonische Spuren hinterließ. Es erhielten sich aus dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg rund um das Zentrum entstehende ortsbildende Anlagen (Kreishaus, Landratswohnung , Bahnhof von 1906 etc, Wiedenhofschule 1910, Ev. Pfarrhaus 1911 ). Eine in den 70 Jahren abgerissene Immobilie mitten im Ort, nämlich die Villa des Arztes Venn (1884), im klassizistischen Stil erbaut, bestimmte lange die Erinnerung älterer Ortsbewohner in Sachen dörflicher Aufwärtsmobilität seit der Mitte des 19. Jh. Dies sowohl von der architektonischen Seite her als auch mit der Erinnerung an den Arzt selbst verbunden, der sich tatkräftig für den Ort, seine Bewohnerschaft und seine Einrichtungen einsetzte und auf den das erste Krankenhaus der Stadt zurückging. Das einzige bislang biographisch erläuterte Straßenschild erinnert an ihn (s. Vennstraße) .

In jene Zeit und ihre Bautätigkeit verweisen auch noch immer einige ansehnliche Privathäuser (z.B. der Bahnhofstraße oder der Schladerner Straße) , auf älteren Postkarten auch inzwischen  verschwundene Bauten wie das Hotel Heiderhoff, der Brölbahnhof und  mehrere Geschäftslokale). Von den ehemals zahlreichen Ämtern und dazugehörigen Bauten wie auch den Orten der Lederindustrie ist  nur noch der Komplex der Fabrik Böcker (zuletzt Agraramt) und die Immobilie Schumacher von 1903, zuletzt Forstamt  am Bitzenweg, erhalten geblieben.

Die städtebaulichen Pläne der Zeit nach 1933, maßgeblich von dem aus dem Oberbergischen stammenden Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley bestimmt, wären durch Industrieansiedlung (Volkstraktorenwerk[9]), Parteibauten (Adolf Hitlerschule) und Verkehrsmaßnahmen (U-Bahnbau) zu einem tiefgreifenden Umbruch im Areal der heutigen Stadt und dem seiner Umgebung geworden, wenn dem Entwurf  und den Anfängen die komplette Ausführung gefolgt wäre. Von den eingeleiteten Baumaßnahmen sind nur das als KDF Hotel geplante Gebäude (heute nach jahrzehntelanger Bundeswehrnutzung Institut für Angewandten Buddhismus EIAB) mit bemerkenswert erhaltener NS- Kunst (Mosaiken) , sowie die südliche den Ort überragende Stützmauer der geplanten Adolf -Hitlerschule samt ehemaligem Baubüro (heute Landschulheim Gymnasium Pempelfort in Düsseldorf ) vorhanden. Die heute dort verlaufende Straße „An der Kirchenhecke“ beinahe parallel zu der Fernstraße des Mittelalters erlaubt einen balkonartigen Blick über große Teile  der Stadt. Außerhalb der Stadt, beinahe an der westlichen Gemeindegrenze gelegen, befinden sich die heute landwirtschaftlich genutzten Reste des Gutshofes Rottland, der Robert Ley gehörte und wo er nach Erwerb und Umbau des Vorgängerbaus ab 1936 eine landwirtschaftliche Anlage mit (in den letzten Kriegstagen niedergebranntem) Herrenhaus errichtete. Dafür, dass es auch technisch eine landwirtschaftliche Musteranlage werden sollte, zeugen noch heute die erhaltenen Grundpfeiler einer Windkraftanlage auf der nahen Höhe.

Was in den Jahren der Bundesrepublik den 1957 zur Stadt gewordenen Ort in seiner baulichen Entwicklung bestimmte, waren geräumige Ansiedlungen in den Außenbereichen, u.a. für die aus der ehemaligen DDR und den Ostgebieten  in mehreren Wellen Zugezogenen, eine Großsiedlung am Rand der Stadt, die in den Jahren der Flüchtlingsströme aus der ehemaligen DDR als Ableger von Unna-Massen und danach als Feriensiedlung und Wohngebiet genutzt wurde, die Präsenz der Bundeswehr mit verschiedenen Einrichtungen, die Entwicklung der Schulen  sowie die mehrteilige Entwicklung eines Gewerbe- und Industriegebietes im Osten der Stadt.  Die entstandenen Verkehrskreisel widmete die Stadt den sukzessiv gewonnenen Partnerstädten in England, Brandenburg und Polen. 

Auf  weitere Plätze und hervorhebenswerte Orte (einzelne Grabanlagen auf den Friedhöfen, erhaltene Häuser mit ihren Geschichten (wie das gut erhaltene Fachwerkhaus Hoemann/Crysandt als erster Bleibe der Rektoratschule von 1861 etc.) soll abschließend pauschal hingewiesen werden. Für die ältere Industriegeschichte stehen u.a. die im Kalkberg erhaltenen Reste einer ehemaligen Krautfabrik,  das Gelände der Leimfabrik in Brenzingen mit dem einzig erhaltenen Schornstein oder die Straßennamen, welche an die Lederindustrie erinnern.  Die Tatsache, dass der ehemalige Kreis in der mittelalterlichen Antoniuskapelle in Denklingen einmal ein Heimatmusum besaß, verdient in Erinnerung zu bleiben, solange es keinen neueren Ersatz dafür gibt.

 

[1] Auf die bisher wichtigste ausführliche Arbeit über das Stift „Das Stift St. Cassius zu Bonn von den Anfängen bis zum Jahre 1580“ (Bonner Geschichts- Bl. Bd. 11) von 1957, verfasst von D. Höroldt, sei in dieser  Fußnote hingewiesen. Der Bonner Propst des Stiftes Gerhard von Are nutzt die Anwesenheit des Papstes Innozenz II. in Lüttich, um sich die Besitzrechte über 20 Höfe und die Zehntrechte an mehr als 30 Pfarrkirchen, darunter im hiesigen Raum Waltprugele (Waldbröl), Nuenbret (Nümbrecht), Mucha (Much), Hamne (Hamm) und Wila (Wiehl), aber auch Leuscheid, Friesenhagen, Herchen , Ruppichteroth, Winterscheid und Morsbach bestätigen bzw. erneuern zu lassen.

[2] Vgl. Die Denkmale des Rheinlandes Bd.10, Einleitung

[3] Von ihr erzählt u.a. eine Geschichte aus den Notjahren 1816/17 (überliefert in  Budde Bd 1, S. 52) , Zur Nutscheidstraße selbst vgl die Untersuchungen von L. Wirths in „Beiträge zur oberbergischen Geschichte“ „Die Nutscheidstraße – ein Denkmal mittelalterlicher Verkehrsentwicklung zwischen Sieg und Bröl Bd. 6 und 7, und in Bd. 10 „ Nutscheid in Not? Zur Artikelverwendung für einen bergischen Höhenrücken“.

[4] Das große verwitterte Exemplar an der Eingangstreppe zum Kircheninnern verweist auf die  Anfänge der Familie Quad von Isengarten und jenen Adolf Quad, der Mitte des 15.Jhs (1466) in das unweit entfernte, lange saynische Rittergut Isengarten einheiratete und bis 1509 Amtmann von Windeck und berg. Rentmeister zu Blankenberg war .Er wurde 1509 in der Kirche begraben.

[5] Die Literatur über den vielleicht bedeutendsten Sohn der Stadt und seine Familie ist zahlreich. Sein bekanntestes Lied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ ist eine Art Erkennungszeichen der Stadt geworden. 

[6] Siepmann, Härting, Engelbert. Et chitt Rähn, 150 Jahre Vieh- und Krammarkt Waldbröl 1851–2001, Nümbrecht 2001, darin ein umfangreicher und von Siepmann kommentierter älterer Aufsatz  von Dr h.c. Albert Schumacher, Die Geschichte der Waldbröler Märkte (1851-1951) S. 34- 58,  sowie ein Aufsatz von Günter Härting , Der Markt nach dem zweiten Weltkrieg - das Ende des Großviehmarktes (S. 91–104

[7] J. Engelbert , Die Lederindustrie in Waldbröl – Aufstieg und Niedergang eines regionalen Wirtschaftszweiges , in Bd.9 der „Beiträge zur oberbergischen Geschichte“ .

[8] H. Simon , Zur Geschichte. der Heil- und Pflegeanstalt Waldbröl 1893–1938 (in Bd.2 der „Beiträge zur Oberberg. Geschichte“

[9] Vgl. Rosendahl-Kraas, Birgit, Die Stadt der Volkstraktorenwerke 1999, M.Galunder Verlag,  105 Seiten ISBN 3-931251-45-4